Hamburg. Ich saß mit einer Freundin in einem Café. Wir waren zum Mittagessen verabredet. Es gab Risotto mit Pfifferlingen. Ich spritzte meine entsprechenden Einheiten Insulin zum Essen. "Ich finde das sooo cool, dass du das einfach machst! Nadel rein, fertig! Richtig gut!". Moment mal - hatte meine Freundin mir gegenüber grade Anerkennung für das für mich ganz normale Insulinspritzen ausgesprochen? Das ist neu für mich, das ist ungewohnt. Normalerweise bekomme ich, wenn überhaupt, ausschließlich Sätze zu hören wie: "Also ich könnte das ja nicht!" oder "Das tut doch bestimmt weh, oder?", oder Leute verziehen schmerzhaft ihr Gesicht. Aber auf so eine ermächtigende und positive Art und Weise habe ich das selbst bisher noch nicht erlebt. Und ja, ich könnte das jetzt einfach so stehen lassen, es nicht so wichtig nehmen und weiterleben. Aber ich finde das schon eine eher besondere Reaktion von jemandem, der selbst sonst gar keine Berührungspunkte mit dem Thema Diabetes hat.
Ein paar Wochen später treffen wir uns wieder, zum Frühstück. Es gibt Shakshuka und viel, viel Brot. Ich stelle am Pen meine Einheiten ein und spritze. "Das ist echt richtig gut, wie du das einfach so machst! Zack, rein! Finde ich echt klasse.", sagte sie wieder. Ich hielt kurz inne und freute mich ein Bisschen. Es tat einfach mal gut, sowas zu hören. Es bestätigte mich in allem, was ich hier schon verbloggt habe in den letzten vier Jahren. Manche von euch wären an dieser Stelle vielleicht schon genervt, ja, ich kann es geradezu hören, wie genervt ihr zum jetzigen Zeitpunkt von meiner Freundin sein würdet. Weil sie schon wieder das Gleiche gesagt hat, mich schon wieder so darauf angesprochen hat. Ist es nicht irgendwann mal gut? Müssen wir da ständig drüber sprechen? Und ich finde, da ist der Haken in unserer Gesellschaft. Wir ermächtigen und ermutigen und bewundern und komplimentieren uns viel zu selten gegenseitig, und wenn es dann mal jemand ehrlich und auf eine ganz natürliche Art und Weise macht, kann es schnell zu viel werden, wenn man mit so einer positiven und bewundernden Art konfrontiert wird. Aber wenn solche Sätze von Herzen kommen, spürt man das, und dann dürfen die ruhig direkt ins eigene Herz hinein.
Ein paar Tage später. Wir treffen uns abends bei einer anderen Freundin, sind am Ende zu viert und trinken gemeinsam Wein. Vier wundervolle Frauen sitzen am Tisch, jede anders, jede hat ganz andere Erfahrungen gemacht und Zeiten erlebt, und doch und vielleicht gerade deswegen kommen wahnsinnig inspirierende Gespräche zustande. Was zu knabbern gibt's natürlich auch. Irgendwann messe ich und spritze, und meine Freundin hat dafür irgendwie immer ein Radar. Andere Menschen würden das gar nicht mitbekommen, weil es doch eigentlich super schnell geht, so zumindest meine bisherigen Erfahrungen. "Entschuldige, aber ich muss es dir wieder sagen. Ich weiß, ich sage es oft. Aber es ist einfach so. Ich finde es so klasse, dass du das hier einfach so machst und dann der Abend direkt weitergeht. So, als wäre es nichts.", sprudelte es aus ihr heraus. Auch die anderen Ladies, die vorher gar nicht wussten, was bei mir Sache ist, stimmten mit ein. So viel Anerkennung und Bestätigung für meine Insulinabgabe auf ein Mal gab's noch nie. Und es fällt mir nach allem, was ich im Leben selbst erlebt habe, auch wirklich schwer, das einfach so anzunehmen und mir einfach auch mal selbst auf die Schulter zu klopfen. Für mich ist es normal, aber für die Frauen, die hier sitzen, mit all ihren eigenen Alltagsproblemen und Normalitäten, ist es absolut cool, wie ich meine chronische Krankheit so locker zu meistern scheine. Natürlich kriegen sie die schlechten Tage nicht mit oder seltener, die Tage, an denen ich mich vielleicht echt nur widerwillig spritze, weil ich das Gefühl habe, dass es sowieso nur wie Wasser wirkt oder die Tage, in denen ich mit Traubenzucker in der Hand einschlafe. Aber genau für diese Tage packe ich mir die ganze Anerkennung in eine imaginäre Truhe und bewahre sie mir dann dafür auf.
Ehrlich gemeinte Anerkennung stärkt ungemein. Nicht nur für den Augenblick, sondern eben auch für spätere Zeitpunkte. Glorifizierung schafft allerdings Distanz. Der Grad zwischen ehrlich gemeinter Bewunderung und Anerkennung und Glorifizierung ist schmal und es liegt an uns, in entsprechenden Situationen zu erkennen, wie es vom Gegenüber gemeint ist. Ich bin kein Superstar oder keine Heldin, weil ich mich täglich mit meiner chronischen Krankheit beschäftigen muss. Ich bin aber auch kein Opfer, das nur mit Samthandschuhen angefasst werden darf. Dennoch finde ich es in einem freundschaftlichen Rahmen schön, wenn man sich gegenseitig ehrliche Anerkennung ausspricht oder sich sagt, dass man sich gegenseitig toll findet, wenn es die Situation anbietet. Und das nicht nur zu Weihnachten oder zum Valentinstag. Wir können nie genug positive Vibes haben, gerade heutzutage. Unsere Zeit hier auf der Erde ist begrenzt und es könnte jeden Tag vorbei sein. Sagt eurem Gegenüber, dass ihr sie oder ihn klasse findet, wenn ihr es denkt und fühlt. Sprecht eure Anerkennung aus und behaltet sie nicht für euch. Ihr füllt damit die Batterien eures Gegenübers auf und stärkt eure gemeinsame Bindung. Und das ist etwas Tolles.
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Liebe Freundin, wenn du das liest: Hör bitte niemals auf so zu sein, wie du bist!
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